Sommer-Special: Ist Gras gesund oder gefährlich?
Märchen und Wahrheiten über Fruktan, Figur und Weidepflege von Dietbert Arnold

Reiter haben zum Gras eine Hassliebe entwickelt. Sie fürchten: Zu viel davon macht Pferde dick, löst mit seinen leicht löslichen Fruktanen Hufrehe aus, hat außer Wasser und Zucker praktisch null Inhaltsstoffe (zumindest keine nützlichen) und steht beim Ausreiten im Sommer so ungeschickt am Wegrand, dass Pferde nach jedem Halm schnappen. Andererseits: Gras und Weide stehen für Freiheit, für natürliche Fütterung und für eine anatomisch gesunde Fresshaltung. Pferde lieben Gras, und wir lassen sie liebend gern daran naschen. Wie gutes Pferdegras wächst und warum Kräuterwiesen für Pferde Unsinn sind, erklärt Dietbert Arnold, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Pferdezucht und -haltung aus Bremen.

Dietbert Arnold ist Sachverständiger für Pferdezucht und Pferdehaltung und berät das NRW-Landgestüt in Sachen Pferdefütterung. Foto-Copyright: Nils Arnold
FREUNDPFERD: Weidegang wird immer mehr zur Zitterpartie. Am meisten fürchten wir uns vor Hufrehe auslösenden Fruktanen. Zu Recht?
Dietbert Arnold: Bei der Fruktan-Forschung ist momentan einiges im Fluss. Es scheint so, als seien Fruktane als leichtlösliche Kohlenhydrate nicht die Ursache für Hufrehe beim Pferd, sondern der Auslöser, wenn ein Pferd bereits vorbelastet ist durch Stoffwechselprobleme, die da heißen: Equine Metabolisches Syndrom (EMS) und Insulinresistenz durch Verfettung.
Hufrehe ist also die logische Folge, wenn Pferde bereits überfüttert und übergewichtig sind, weil sie zuwenig bewegt werden. Das Fruktan im Weidegras ist dann das Tröpfchen, welches das Fass zum Überlaufen bringt
Fass ist ein gutes Stichwort: Die meisten Pferde sind sind heute dick und damit Rehe-Kandidaten…
60 Prozent aller Pferde sind viel zu fett. Das betrifft besonders die Robust- und Spezialrassen: Sie sind leichtfuttrig, werden von Freizeitreitern meist zu wenig gearbeitet und haben eine genetische Veranlagung, schnell zuzunehmen. Islandpferde, Shetlandponys, Norweger oder Haflinger sind daher mit nährstoffreichen Böden und dem energiereichen Gras, das darauf wächst, überfordert, wenn sie zuviel davon fressen. Auch Westernpferde gehören zur Risikogruppe: Sie werden gemästet, weil man meint, dass man ihnen dadurch Muskeln anfüttert. Bei Dressurpferden sieht man seit Jahren, dass sie total moppelig sind. Das führt über kurz oder lang zum Metabolischen Syndrom, eine Art chronische Entzündung im Körper. Beim Menschen würde man Diabetes Typ II sagen. Dieses Metabolische Syndrom wird durch Gewebshormone verursacht, welche von den Fettdepots freigesetzt werden und den Stoffwechsel blockieren. Nach relativ kurzer Zeit wird diese Stoffwechselblockade chronisch, und das Pferd hat dauerhaft eine Insulinresistenz. Und genau diese Pferde, auch wenn sie ihr Gewicht reduziert haben, sind dann eben sehr anfällig gegenüber energiereichem Gras.
Warum ist unser Gras eigentlich so energiereich?
Das liegt auch am Stickstoff aus Verbrennungsprozessen in Autos, in der Industrie und beim Heizen. Es wird durch Regen ausgewaschen und versickert im Boden. Der Stickstoffeintrag in unsere Böden ist heute doppelt so hoch wie in früheren Jahren. Stickstoff ist ein Wachstumsdünger und bildet viele Blätter, die dann bei der Photosynthese wiederum viel Sonnenlicht in Energie, also Zucker, umwandeln können.
Auf der anderen Seite heißt es, Weiden seien zu ausgelaugt, um Pferde gesund zu ernähren: Angeblich fehlen Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren…
Ja, das trifft tatsächlich auf die meisten Pferdeweiden zu:
Weiden sind ausgelaugt, weil sie schlecht gepflegt sind, nicht regelmäßig gedüngt werden und weil zu viele Pferde darauf grasen
Die Reiter, die sich über wertlose Weiden aufregen, haben meist die verschlurtesten Koppeln. Die sind überweidet, kaputt, als Pferdefutter und Ökosystem wertlos und bieten Giftpflanzen wie etwa dem Jakobskreuzkraut beste Bedingungen, weil das Gras lückenhaft geworden ist. Deshalb haben wir ja das große Problem mit dem Jakobskreuzkraut. Auf optimal gepflegten Weiden mit dichter Grasnarbe kann sich das nicht breit machen.
Wie kommt man zu so einer dichten Grasnarbe?
Mit gutem Weidemanagement, das erst mal berücksichtigt, dass man pro Pferd und Jahr mindestens einen halben Hektar Weidefläche braucht. Ein Großpferd frisst pro Tag 60 bis 70 Kilo Gras, das sind 100 Quadratmeter Weide. Es ist wunderbar, wenn Pferde das ganze Jahr Tag und Nacht auf der Weide stehen dürfen. Aber: In unseren Klimazonen gehört ein Pferd ab November nicht mehr auf die Weide, denn der nasse Boden ist nicht mehr trittfest und verträgt das in den meisten Fällen nicht. Unser Pferdegrünland leidet sehr oft an den Symptomen einer Massentierhaltung, obwohl viele Pferdehalter das selbstverständlich weit von sich weisen würden. Wenn man nicht genug Weidefläche hat, sollte man eben keine Pferde auf der Koppel halten, sondern ihnen Sandausläufe bieten. Alles andere schadet den Pferden und der Umwelt, denn Grünland ist in Deutschland mehr und mehr ein schützenswertes Ökosystem.
Angenommen, die Fläche reicht: Was gehört noch zur Graspflege?
Fachlich korrekt nennen wir das Grünlandpflege: Man muss richtig düngen und dem Boden das geben, was a) das Pferd dem Grünland entzogen hat und wieder ausgeglichen werden muss, b) und ins Pferd soll, damit es gut versorgt ist mit Nährstoffen. Gut für Pferdeweiden ist Kalkammonsalkpeter (KAS), weil er viel Calcium und auch Stickstoff enthält.
Wer Pferde auf der Weide hält, braucht je nach Boden 50-70 Kilo Stickstoff pro Jahr und Hektar, verteilt auf mindestens zwei Düngegaben
Die größte Menge düngt man zum Wachstumsbeginn, weil der Dünger durch die wachsende Pflanzen aufgenommen werden muss. Meist düngt man so Mitte April zum ersten Mal, aber dieses Jahr war es in einigen Teilen Deutschlands sehr kalt, und das Gras fing erst spät an zu wachsen. Da bringt es nichts, zu früh zu düngen, der Dünger sickert einfach ins Grundwasser durch und belastet das Trinkwasser, wenn die Pflanze ihn mangels Wärme noch nicht aufnehmen kann. Das zweite Mal wird gedüngt, wenn die Weide abgefressen ist und der zweite Aufwuchs beginnt.

Öko-Kreislauf: Das Pferd entzieht dem Boden beim Grasen Nährstoffe, die der Mensch durch Düngen wieder zufügen muss.
Wie lange muss man jeweils warten, bis die Pferde nach dem Düngen wieder auf die Weide dürfen?
Die Düngerkügelchen müssen sich aufgelöst haben, das ist ganz wichtig, da muss man dem Gras schon genau auf den Grund schauen in den Tagen nach dem Düngen. Ein kräftiger Regenguss muss schon sein, um den Dünger aufzulösen. Sonst fressen ihn die Pferde, nehmen viel zu viel Nitrat auf einmal auf und bekommen Blausucht. Wichtig ist, dass man mit modernen Düngestreuern arbeitet, die den Dünger gleichmäßig verteilen. Sonst landet alles auf einem Haufen, und bei Regen entstehen Pfützen, in denen sich das überdüngte Regenwasser sammelt und Pflanzen und Böden schädigt. Für Pferde kann das Trinken dieses Wassers tödlich sein.
Viele Hobbyreiter mit Pferd hinterm Haus haben aber doch keinen modernen Maschinenpark.
Die sollen sich halt vom benachbarten Landwirt, einem Lohnunternehmer oder einem Maschinenring (einfach mal im Internet suchen) helfen lassen. Viel zu wenig Reiter verstehen, dass man sich mit einem Profi zusammentun muss, der die Weiden düngt und das Heu macht. Auch deshalb wird zuwenig gedüngt. Huch, das ist ja nicht Öko, höre ich so oft. Das ist dummes Zeug. Ich bin dafür, Stickstoffdünger zu kaufen, statt Gülle auszubringen, die mit Antibiotika verseucht ist.
Wer nicht düngt, bekommt nur das ins Gras, was aus der Verwitterung der Steine im Erdreich resultiert
Dieser Verwitterungsprozess läuft sehr langsam ab, da bekommt man vielleicht 15 bis 20 Kilo Stickstoff pro Jahr und Hektar. Aber Pferde fressen ein Mehrfaches an Nährstoffen pro Jahr ab, die Weide wird immer nährstoffärmer und kümmert schlussendlich. Empfehlungen zum Düngen in der jeweiligen Region geben die Landwirtschaftskammern, und Grundlage dafür ist immer eine Bodenanalyse. Fehlen die Nährstoffe, kann das Gras nicht wachsen. Beim sogenannten Fruktan-Wetter – sehr trocken, sehr heiß oder sehr kalt – kann das Gras ebenfalls nicht wachsen. Was passiert da? Die Pflanze kann den Zucker, den sie bei Helligkeit aus der Photosynthese gewinnt, nicht fürs Wachstum nutzen. Sie lagert den Zucker deshalb als Reserve ein, und genau so ein Speicherzucker ist das gefürchtete Fruktan.
Damit sind wir also wieder bei der Ausgangsfrage: Warum ist Fruktan so gefährlich?
Weil es ein sehr energiereicher, leicht löslicher Speicherzucker ist, den die Pflanze für ihre eigene Ernährung sofort wieder mobilisieren kann, sobald sich Wetter und Wachstumsbedingungen bessern: Die Temperatur erreicht um die 18 Grad, der Boden ist feucht und enthält genügend Nährstoffe, damit die Graspflanze Blätter entwickeln kann. Zu diesen Nährstoffen gehören die vorhin erwähnten Stickstoffverbindungen, die Grundsubstanz aller Aminosäuren und Eiweiße. Eiweiß darf man nicht verteufeln, wie es manchmal passiert, denn die Pflanze braucht es: Ohne Eiweiß kein Blatt, ohne Blatt kein sattes Pferd! Bei allem, was wir auf der Weide tun, müssen Pferdebesitzer immer erst an den Boden denken: Man kann nichts anpflanzen, was gegen den Boden ist. Auf Marschböden im Norden werde ich nie eine Kräuterwiese haben. Was eigentlich auch gar nicht nötig ist, denn Pferde wollen keine Kräuter, sondern Gras. Pferde sind während der Evolution dem Weg des Steppengrases gefolgt, das dem Strandhafer unserer Küsten entspricht. Pferde kommen aus der Steppe, da wächst nicht ein einziges Kraut zwischen dem Gras.
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