Ein Blog von Christine Felsinger
mit Fotos von Felix Knaack

Halte-Verbot für Hollands Reiter

... und warum es schlechtes Reiten auf Turnieren fördert: Interview mit Dr. Ulrike Thiel

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Wir sind FREUNDPFERD: Araber-Appaloosa Maya und Christine Felsinger, Biologin, Journalistin und Bloggerin. Wir sind FREUNDPFERD: Araber-Appaloosa Maya und Christine Felsinger, Biologin, Journalistin und Bloggerin.

Die Holländer schaffen das Halten und Grüßen ab: Ab dem nächsten Jahr wird es in Dressurklassen bis Niveau ZZ-licht (entspricht der deutschen Klasse M) keine Respektsbezeugung vor den Richtern mehr geben. Damit entfällt auch der Test auf Balance und korrekte Sitzeinwirkung vor dem Ritt. Was steckt dahinter, wollte ich von der Dressurtrainerin und Richterin Dr. Ulrike Thiel wissen. Sie betreibt im niederländischen Soerendonck das Reitinstitut Hippocampus und hat mich schon vor Jahren zu Undercover-Recherchen auf Abreiteplätzen begleitet.

FREUNDPFERD: Warum wurde das Halten und Grüßen abgeschafft?

Dr. Ulrike Thiel: Vordergründig wird behauptet, man könne von einem jungen Pferd nicht verlangen, dass es in seiner Vorwärtsbewegung unterbrochen wird und dadurch aus dem Gleichgewicht gerät.

Und was steckt in Wahrheit dahinter?

In Wahrheit kann man sehr wohl von einem korrekt ausgebildeten Dressurpferd jeden Niveaus erwarten, dass es beim Halten nicht in Schwierigkeiten kommt. Aber die Dressurpferde-Ausbildung in den Niederlanden verläuft eben nicht mehr korrekt, also unter Berücksichtigung der Skala der Dressurausbildung als Qualitätskriterium (obwohl das noch immer behauptet wird) sondern unterliegt einer Entwicklung, die schon anhält, seit das Rollkur-Reiten durch Anky van Grunsven, Sjeff Jansen und die Familie Bartels Einzug gehalten hat. Schon seit einigen Jahren sickert dieser Einfluss auch in die nationale Reitervereinigung KNHS ein, und das bedeutet, dass auch die Dressur an der Basis davon betroffen ist. Das passiert schon seit einigen Jahren, wie ich als Richterin auch bei den jährlichen Nachschulungen immer wieder feststellen konnte, also im Sport ebenso wie bei der Reitlehrer- und Trainerausbildung der KNHS. Auch die sind davon betroffen. Das ganze Training und folgerichtig und strategisch auch die Prüfungen und deren Beurteilung passen sich der Entwicklung in Richtung LDR (low, deep, round), also Rollkur, an: Die Pferde gehen deutlich hinter der Senkrechten mit extrem verkürztem Hals und verkehrtem Knick, werden extrem mit der  Hand festgehalten, aber mit dem Schenkel oder Sporn „aktiviert“. Sie werden dadurch natürlich steif im Rücken und im Becken, sind nicht mehr gerade gerichtet und folglich auch nicht mehr im Gleichgewicht. Der Reiter kann dann auch nicht mehr korrekt sitzen, sondern muss in den Bügeln stehen oder hinter der Senkrechten arbeiten. Als Richter wurde man schon seit einigen Jahren angehalten solche Mängel NICHT mehr negativ zu beurteilen.

Das wird in den paar Sekunden Halten entlarvt?

Genau. Denn ein Pferd, welches vorne zusammengezogen und hinten blockiert, nicht am Sitz des Reiters und in Balance ist, kann sich nicht mehr schön geschlossen hinstellen, sonst „fällt es um“. Abgesehen davon tut es im Rücken auch weh. Das geschlossene, versammelte Halten, das vielleicht fünf Sekunden dauert, ist deshalb ein guter Prüfstein, ob ein Pferd in der Balance ist und ob es korrekt an den Hilfen steht und über den Rücken geht. Kann es sich nicht von hinten schließen, dann weist das nicht nur in den höheren Klassen darauf hin, dass eben nicht korrekt nach den (noch immer bestehenden) Richtlinien gearbeitet wird.  Hier ist vor allem der Sitz gefragt. Wenn der Reiter sein Pferd nur über die Zügelhilfen kontrolliert und zum Grüßen plötzlich die Hand wegnimmt, dann ist auch das Pferd schnell weg, bricht seitwärts aus,  steht nicht geschlossen und gerade, tritt zurück, eiert herum etc.

Und in den Niederlanden wird das gar nicht hinterfragt?

Nein, zumindest in der KNHS nicht,  denn es zeichnet sich ja schon länger ab, dass hier die klassische Reitlehre ausgehebelt wird. Das fing damit an, dass man bei der Beurteilung der Gänge in der Prüfung etwa bei der Galopp-Note plötzlich keinen Wert mehr darauf legte, ob das Pferd gerade oder schief springt.  Hauptsache, es zeigt Galoppsprünge. Auch ob das Pferd gebogen durch die Ecken geht, wird in der Prüfung nicht mehr in die Wertung einbezogen. Und letztlich ist es auch egal, ob das Pferd im freien Schritt am langen Zügel im Gegensatz zu den Schrittreprisen am Zügel nicht mehr taktunrein wird. Ein wichtiger Hinweis auf zu viel Handeinwirkung und als solches als Information für den Reiter auch sinnvoll. Früher gehört eine solche Schritt-Schluss-Runde beim Verlassen des Vierecks noch zur Prüfung, heute zählt das nicht mehr. Lektionen wie Halten oder auch die Schaukel – alles raus. Statt dessen will man Pferde sehen, die über Tempo geritten werden, mit viel Aktion in der Vorhand, dafür mit der Nase hinter der Senkrechten, was dann als „Nachgeben im Genick „bezeichnet wird  wohl mit „Durchlässigkeit“ verwechselt wird.  Unterjocht und unter Kontrolle. Etwas überspitzt könnte man sagen: Der Reiter zieht vorne, und hinten sticht er. Das bekommen schon Kinder an der Basis heute so beigebracht. Alles fokussiert aufs Treiben, auf das „elektrische“, reaktive Hinterbein des Pferds was man ja auch in den höheren Klassen vor allem in den Lektionen wie Passage und Piaffe und Galoppwechseln deutlich zu sehen bekommt. Das bedeutet: Es muss das Hinterbein über das Sprunggelenk reflexartig hochziehen. Die klassische Versammlung und Hankenbeugung mit Einbeziehung der Gelenke ganzen Hinterhand von der Hüfte an (eine wichtige Voraussetzung für ein pferdeschonendes Abfedern der Bewegungen und eine ungestörte Rückentätigkeit) ist passé. Das beginnt schon im Basissport und wird dort bereits systematisch belohnt.

Können Sie Ihren Richter-Job so überhaupt noch ausüben?

Nein, ich richte inzwischen keine Prüfungen mehr in den Niederlanden. Das ist mir zu blöd. Wir werden auf lange Sicht hier entweder einen Reitsport bekommen, der sich auch offiziell völlig konträr zu den Richtlinien entwickelt. Oder die Richtlinien werden mittelfristig dann den Praktiken im Reitsport angepasst. Das ist zu befürchten.

Dr. Ulrike Thiel arbeitet als Trainerin, Richterin, Psychologin und Reittherapeutin in den Niederlanden.

Dr. Ulrike Thiel arbeitet als Trainerin, Richterin, Psychologin und Reittherapeutin in den Niederlanden. Foto-Copyright: Thiel

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6 Kommentare

  1. Wo bitte will der Sport in der Reiterei da hin? ??? Das widerspricht den klassischen Grundsätzen der Reiterei.die einzigen Patzer die dabei passieren dürfen sind aus Ablenkung, Konzentrationsmangel des Teams, Situationsfehler eben. .. aber Lektionen der klasse L und M setzen doch wohl körperlich und ausbildungstechnisch ein Halten im Gleichgewicht voraus.

  2. Es ist erschreckend das sich ein ganzes Land zu einer Pferdequälernation hin entwickelt. Vor allem die jungen Reiter werden dazu angehalten, wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, so zu reiten und glauben natürlich dann auch das es richtig ist was sie von ihren Vorbildern, den Reitlehrern, vermittelt bekommen.
    Ich kann nur fassungslos dasitzen und den Kopf schütteln. ….. Und vielleicht hoffen das sie wenigstens International abgestraft werden und nur noch gaaaaaanz unten mitmischen.

    • Ich denke, das Vorbild-Problem haben wir leider auch hier in Deutschland. Wenn ich da so an Gespräche mit sehr bekannten Reitern denke: Der eine hat selbst kein Vorbild und will auch keines sein, die andere hat noch nie ein Reitlehrbuch gelesen und weiß gar nicht, warum Rollkur etwas Schädliches sein soll. Ist doch kein Wunder, wenn sich Nachwuchsreiter da nichts Gescheites abgucken können.

  3. Und da klingt es für mich, wie seit Jahren, nach Gangpferdereiten und nicht nach Dressur. Irgendwann schicken wir die Strampler auf die Ovalbahn um nur noch die Gänge zu bewerten.

    • Hallo Katharina, das ist wirklich ein treffender Vergleich. Wobei man nicht weiß, wen man mehr bedauern soll: die Dressurpferde, die verspannt im Viereck hampeln, oder die Isis, die verspannt um die Ovalbahn sausen. Liebe Grüße Christine

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